«Mit Kompetenz, Qualität und Herz pflegen»

    Kinder, die besondere Pflege brauchen, stellen Eltern, Geschwister und das Umfeld vor hohe physische und psychische Herausforderungen. Hier kommt die Joël Kinderspitex ins Spiel. Das 230-köpfige Team pflegt Säuglinge, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Rücksicht auf alle Bedürfnisse im Umfeld der Familie. Die Kosten dafür werden übernommen. Franz Elmer, Geschäftsführer der Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz, – die ihren Sitz in Aarau hat – gibt Einblick in die älteste Kinderspitex der Schweiz.

    (Bilder: zVg) Ein Lächeln bedeutet mehr als tausend Worte: Für das Pflegeteam steht das Wohl der Klientinnen und Klienten und deren Familien im Vordergrund.

    Die Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz ist die älteste Kinderspitex der Schweiz. Wie ist diese wichtige Institution entstanden?
    Franz Elmer: Verena Mühlemann-Burach (1953-2013) gründete im Jahr 1990, im Gedenken an ihren Sohn Joël, der an einer Leukämie erkrankt ist, die erste Kinderspitex der Schweiz. Durch die Krankheit und den Tod ihres Sohnes wusste sie, dass solche Schicksale Familien überfordern können. Mit der Gründung der ersten Kinderspitex der Schweiz hat sie vielen Familien Unterstützung in schwierigen Situationen ermöglicht. Im Jahr 2005 wurde die Stiftung in den Verein Joël Mühlemann Schweiz und per 01.01.2019 in die neue Stiftung Joël Kinderspitex, Schweiz überführt.

    Was war der Gründergedanke?
    Schwer kranke und mehrfach behinderte Kinder sind in ihrem Leben auf intensive Unterstützung, Begleitung und Überwachung angewiesen. Am wohlsten fühlen sie sich zu Hause, wo sie in ihrem gewohnten Umfeld am Familienleben teilhaben können. Die Stiftung Joël Kinderspitex bezweckt die umfassende Betreuung pflegebedürftiger Säuglinge, Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener und ihrer Familien in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Die Stiftung erfüllt ihren Zweck durch Schaffung geeigneter Unterstützungs- und Beratungsangebote, durch Einsatz von Pflegefachleuten zu Hause für das Wohl von Kindern mit besonderen Bedürfnissen und ihren Familienangehörigen. Sie regelt dabei auch die Finanzierung mit den jeweiligen Kostenträgern. Die Stiftung verfolgt keine Selbsthilfe- oder kommerziellen Zwecke und erstrebt keinen Gewinn.

    Geschäftsführer Franz Elmer: Immer wieder stellen wir fest, dass unsere Angebote noch lange nicht überall bekannt sind.

    Die Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz gilt als grösste Kinderspitex der Schweiz mit über 67’000 Pflegestunden pro Jahr. Wie ist diese wichtige Institution gewachsen und wird sie noch grösser?
    Tatsächlich ist die Stiftung Joël Kinderspitex in den letzten Jahren stark gewachsen. Aktuell pflegen und betreuen rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 19 Kantonen der Deutschschweiz sowie dem Fürstentum Liechtenstein über 300 Kinder mit einer schweren Krankheit oder Beeinträchtigung. Einfach nur zu wachsen war allerdings nie der Treiber und die Motivation der Kinderspitex. Die Nachfrage von professioneller Pflege und das Bedürfnis von Kindern mit Beeinträchtigungen und deren Familien nach Unterstützung sind sehr gross und in den letzten Jahren vor allem auch im psychopädiatrischen Bereich stark gestiegen. Dies führte dazu, dass die Kinderspitex neue, innovative Angebote entwickelte und erfolgreich umsetzte. Da in vielen weiteren Bereichen grosser Bedarf von Kindern und Familien nach Unterstützung besteht, wird die Kinderspitex auch künftig neue Projekte und Angebote lancieren. Somit ist mit einem Wachstum auch in den nächsten Jahren zu rechnen.

    Die Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz ist nach SCEC zertifiziert. Was bedeutet dies konkret?
    «SCEC» steht für Swiss Care Excellence Certificate. Dies ist ein Qualitäts-Gütesiegel der Pflege und wird von der unabhängigen Firma concret AG im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO vergeben. Die Indikatoren von SCEC machen die Anforderung an die Qualität der Pflege transparent. Sie definieren, wie sich gute Pflegequalität zeigt und wie sie gemessen werden kann. Die Aufrechterhaltung und der Fortschritt unseres Qualitätsmanagements sind uns sehr wichtig. Mit der regelmässigen Überprüfung und Erneuerung des Zertifikates verpflichten wir uns zur steten Qualitätsverbesserung. Wir sind stolz darauf, als erste Kinderspitex die Anforderungen für das Zertifikat erfolgreich erfüllt zu haben.

    Was zeichnet die Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz speziell aus?
    Die Joël Kinderspitex verfügt über langjährige Erfahrung in der Pflege und Begleitung von Kindern und Familien mit speziellen Bedürfnissen. Für jedes Kind und jede Familie wird ein eigenes Pflegeteam mit einer Teamleitung zusammengestellt. Dies schafft Konstanz, Vertrauen und fördert eine schnelle Verbesserung der jeweiligen Situation. Die Teams werden durch Fachgruppen und somit vertieftem Fachwissen wie beispielsweise in den Bereichen Palliative Care, Familienzentrierte Pflege und Psychopädiatrische Pflege unterstützt. Wir stehen ein für eine schnelle und unbürokratische Beratung und sofortige Unterstützung der Familien. Zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel Betreuung, Entlastung und Spitalbegleitung werden über Spendengelder finanziert. Zusammenfassend heisst das, dass wir mit Kompetenz, Qualität und Herz pflegen. Wir helfen schnell und unbürokratisch.

    Das letzte Jahr dürfte als Organisation im Gesundheitswesen besonders schwierig gewesen sein. Wie haben Sie diese ausserdienstliche Zeit gemeistert?
    Die verordneten Alltagseinschränkungen haben uns alle dazu veranlasst, über die Werte unserer Gesellschaft nachzudenken. Trotz erzwungener Distanz sind wir alle näher zusammengerückt. Uns wurde bewusster denn je, dass nichts was heute Bestand hat, auch morgen so sein wird. Das kannten wir so bereits durch die von uns begleiteten Kinder und Familien. Jeder Tag bringt seine Überraschungen. Auf jeden Fall hat mit Corona der administrative Aufwand enorm zugenommen. Vor allem die Regional- und Teamleiterinnen waren enorm gefordert, haben das aber zusammen mit den Pflegefachpersonen sehr gut gemeistert.

    Was waren und sind die grössten Herausforderungen?
    Mit dem Ausbruch der Coronapandemie wurde vieles ungewiss. Die Familien, unsere Mitarbeitenden und das gesamte Umfeld waren stark verunsichert und die vom Bund verordneten Massnahmen führten dazu, dass die einen Familien keine Leistungen mehr wünschten und bei anderen Klienten der Bedarf massiv anstieg. Für uns bedeutete das immer wieder kurzfristiges Umplanen, um den Familien und Mitarbeitenden die grösstmögliche Sicherheit zu geben. Als Spitexorganisation hatten wir weniger Sorgen mit den Hygienemassnahmen als mit der zeitnahen und genauen Information und Instruktion aller Beteiligten. So hiess das für die einen Mitarbeitenden Kurzarbeit und für andere viele Überstunden.

    Wer sind Ihre Patientinnen und Patienten?
    Unsere Patientinnen und Patienten – wir nennen sie Klientinnen und Klienten – sind Kinder mit besonderen Bedürfnissen, welche durch eine Krankheit oder Beeinträchtigung entstanden sind. Für uns steht das Wohl der Klientinnen und Klienten und deren Familien im Vordergrund, weshalb wir von Frühgeborenen bis zum jungen Erwachsenen alle verschiedenen Alters- und Anspruchsgruppen kennen.

    Was sind oft die grössten Anliegen des Umfeldes der kranken Kinder?
    Die Rund-um-die-Uhr Pflege und Betreuung eines schwer kranken oder mehrfach behinderten Säuglings, Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellt die ganze Familie oft über viele Jahre vor intensive psychische und physische Herausforderungen. Oft gehen Familien an oder über die Grenze ihrer Belastbarkeit und sind entsprechend froh, wenn sie in Form von Pflegeleistungen etwas Entlastung erfahren können.

    Welche Bedeutung hat Ihre Organisation für die Gesellschaft?
    Spitex bedeutet Spital externe Hilfe, Gesundheits- und Krankenpflege, das heisst, Hilfe, Pflege, Entlastung und Beratung ausserhalb des Spitals oder Heims. Also Zuhause – da, wo sich Kinder am wohlsten fühlen, wo sie in ihrem gewohnten Umfeld am Familienleben teilhaben können. Auch wird das von der Politik so gefordert, da ambulant betreute Personen weniger Kosten verursachen, als wenn sie in stationären Institutionen untergebracht sind. Die Stiftung Joël Kinderspitex macht die Idee der Spitex für Kinder in der ganzen Schweiz bekannt und nimmt Einfluss auf gesundheitspolitische Themen. Immer wieder stellen wir fest, dass unsere Angebote noch lange nicht überall bekannt sind. Wir bringen die Interessen der Klienten ein, wenn es zum Beispiel um Themen wie Tarifverhandlungen, Leistungsangebot, Versicherungsfragen oder Überwachung der Gesetzesgrundlagen geht. Die Kinderspitex ist somit in normalen wie in besonderen Zeiten eine bedeutende Stütze der Gesellschaft und selbstverständlich systemrelevant.

    Sie haben auch noch andere Projekte wie beispielsweise «WG Kunterbunt». Was muss man sich darunter vorstellen?
    Die WG Kunterbunt ist ein spendenfinanziertes Angebot und richtet sich an Familien, deren Kinder bereits durch die Stiftung Joël Kinderspitex betreut werden. Während verlängerten Wochenenden – von Freitagabend bis Sonntagabend – können die Familien ihr Kind in die Obhut erfahrener Pflegefachfrauen geben. Die Kinder werden von einem Team aus diplomierten Pflegefachfrauen und einer Köchin rund um die Uhr betreut und gepflegt. Neben der täglichen Körperpflege, der Ernährung, Bewegungsübungen und pflegerischen Verrichtungen wie zum Beispiel Absaugen, Kanülen-Pflege und PEG-Versorgung bleibt genügend Zeit zum Spielen und für Exkursionen in die nähere Umgebung. Die WG Kunterbunt hilft Eltern, neue Kraft und Elan für die intensive Betreuung der Kinder zu tanken oder Zeit für die gesunden Geschwisterkinder zu gewinnen.

    Was wünschen Sie sich für die Zukunft für die Stiftung Joël Kinderspitex Schweiz?
    Mit möglichst wenig Hürden möchten wir als Kinderspitex die Familien unterstützen, die auf unsere Dienstleistungen angewiesen sind. Das heisst, wir müssen die Organisation selbst aber auch unsere Qualität der Pflegearbeit weiterentwickeln. Zudem sind wir bedacht, dass unsere Leistungen genügend finanziert werden, sowohl durch Versicherungen als auch durch Bund und Kantone sowie Gemeinden. Und natürlich wünschen wir uns viele zufriedene Kinder – ein Lächeln bedeutet mehr als tausend Worte!

    Interview: Corinne Remund

    www.joel-kinderspitex.ch

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